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Männlein oder Weiblein?

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  • Männlein oder Weiblein?

    Guten Abend zusammen,

    meine Frage klingt erstmal merkwürdig: ich habe über die Jahre eine weit dreistellige Zahl Schildkröten erbrütet, aber immer relativ jung verkauft. Deshalb habe ich keine Datenbasis, wie die Geschlechterverteilung war. Seit einigen Jahren behalte ich aber etliche Tiere aus jedem Jahr. Die Ziel-Bruttemperatur lag dabei bei 32,5 Grad.
    Nach eurer Erfahrung: ab welcher Größe (oder alternativ Alter) kann man bei TGI anhand des Phänotyps/äußeres Erscheinungsbild/Foto mit hoher Sicherheit sagen, ob es sich um ein männliches oder weibliches Tier handelt?
    Vielen Dank für Ratschläge und Grüße von
    Frank

  • #2
    Hallo Frank,

    die Frage ist tatsächlich nicht merkwürdig, für Testudo graeca ibera ist sie nämlich gar nicht so einfach zu beantworten.

    Bei einer Inkubationstemperatur von > 32 Grad im mittleren Drittel der Inkubationszeit sollte die überwiegende Anzahl der Jungtiere weiblich sein, aber: Zunächst sehen alle Jungtiere bzw. die Halbwüchsigen weiblich aus. Wenn sie in der Gruppe gehalten werden und es sind Männchen dabei, kann man irgendwann eines der Männchen als solches erkennen, aber die anderen wachsen als manchmal so genannte "Tarnmännchen" weiter. Nimmt man das erkennbare Männchen aus der Gruppe heraus, bilden sich beim nächsten Männchen die sekundären Geschlechtsmerkmale aus.

    Anhand von Fotos kann man also sogar bei fast adulten Schildkröten nicht sicher sagen, ob's ein Männchen oder ein Weibchen ist - das einzig sichere Kennzeichen für ein Weibchen ist, wenn es Eier legt.
    Früher unter "Beate" hier in den Foren aktiv. Halte und züchte verschiedene Schildkröten und bin seit Gründung Mitglied der AG Schildkröten. Lieblings- Spitzname "Bücherwurm".

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    • #3
      Vielen Dank Beate, für deine Antwort. So etwas ähnliches hatte ich befürchtet, weil ich mich schon gewundert habe, dass in so einer großen Gruppe von über 50 juvenilen und semi-adulten Tieren keines mit eindeutig männlicher Ausprägung ist, hohe Bruttemperatur hin oder her. Vielleicht sorgen aber auch die drei adulten Männchen (von denen sich eines gar nicht „männlich“ betätigt) dafür.

      Gentest? Ist das a) möglich und b) bezahlbar? Ich tippe auf nein (?).
      Wie hoch kann ich bei vertretbarem Risiko für die Eier bei der Temperatur gehen? Ich war bislang der Ansicht, 33 Grad solle das Maximum sein (ich messe und steuere die Temperatur mit einem Fühler immer direkt an den Eiern, nicht durch den Inkubator selbst, weil die Temperaturen an verschiedenen Stellen des Geräts durchaus mal 1-2 Grad „Gefälle“ haben können (vor allem, wenn die Eier in ein umgebendes Substrat eingebettet sind).

      Viele Grüße von,
      Frank

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      • #4
        Hallo Frank,

        ein Gentest hilft da nicht weiter, denn diese Schildkröten haben ja, wie Du selber schreibst, eine temperaturabhängige Geschlechtsbestimmung. Man könnte theoretisch die Geschlechtshormone im Blut bestimmen, aber bei den "Tarnmännchen" dürfte ja die Produktion der männlichen Geschlechtshormone unterdrückt sein, also bringt das auch keine Sicherheit. Und auch die Methode, das Tier dazu zu bringen, sein Geschlechtsorgan herzuzeigen, hilft dann nicht weiter, denn bei diesen "Tarnmännchen" sind Penis und Klitoris kaum zu unterscheiden.

        Was möglich und aussagekräftig wäre, ist eine endoskopische Untersuchung, d.h. ein erfahrener Tierarzt schaut mit einem Endoskop durch einen kleinen Schlitz vor dem Hinterbein (der nachher natürlich genäht werden muss!) in die Schildkröte rein und kann dann sehen, ob das Tier Hoden oder Ovarien in sich hat.

        Mit der temperaturabhängigen Geschlechtsbestimmung ist das so eine Sache: Bei Testudo graeca ibera liegt die Scheiteltermperatur etwa bei 31,5 °C, dann schlüpfen etwa gleich viele Männchen und Weibchen. Oberhalb davon schlüpfen zwar mehr Weibchen (je höher die Temperatur, desto mehr), aber bei 100% Weibchen landet man meist nicht. Wenn, wie Du schreibst, zwei sexuell aktive, adulte Männchen bei der Gruppe sind, wird also schon mit "Tarnmännchen" zu rechnen sein.

        Falls Du's wirklich für jedes Tier wissen willst, sprich mit einem Tierarzt Deines Vertrauens. Und leg' Dir besser gleich mindestens einen Goldesel zu ;-)
        Früher unter "Beate" hier in den Foren aktiv. Halte und züchte verschiedene Schildkröten und bin seit Gründung Mitglied der AG Schildkröten. Lieblings- Spitzname "Bücherwurm".

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        • #5
          Hallo Beate
          nur aus Interesse eine Verständnisfrage:

          Zitat von Beate Pfau Beitrag anzeigen
          …ein Gentest hilft da nicht weiter, denn diese Schildkröten haben ja, wie Du selber schreibst, eine temperaturabhängige Geschlechtsbestimmung.
          Wann ist denn die Geschlechtsfestlegung abgeschlossen? Ich dachte, es komme nur während der Brutzeit auf die Temperatur an und beim Schlupf sei das Geschlecht dann festgelegt.
          Wenn das so ist, müssten nach meiner Überlegung die sogenannten Tarnmännchen genetisch Männchen sein, die als solche aber (noch) nicht zu erkennen sind.
          In diesem Fall sollte sie ein Gentest doch „enttarnen“. Oder mache ich da einen Denkfehler?

          Gruss
          cham-sitter

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          • #6
            Hallo cham-sitter,

            ja, da machst Du einen Denkfehler. Maurische Landschildkröten sind nicht genetisch Männchen oder Weibchen, sondern funktional. Sie haben keine geschlechtsbestimmenden Gene - jedenfalls keine so einfach bestimmbaren. Geschlechtschromosomen, wie wir Menschen, haben sie nicht. Deshalb kann man auch mit einem genetischen Test nicht feststellen, welches Geschlecht sie wirklich haben.

            Natürlich ist das alles noch ein bisschen komplizierter. Ich empfehle also (für mich zeitsparend...) als Lesestoff:

            Pfau, Beate (2024): „Züchterkniffe“ zur Pflege und Zucht von Schildkröten. Teil III: Sex & Crime bei Schildkröten – Geschlechtsbestimmung, Geschlechtsfixierung und geschlechtsabhängige Aggression. Radiata 33(4): 4-36.

            Das Heft kann man noch von der AG Schildkröten bekommen https://schildkroeten.dght.de/radiata/ - aber Ihr seid ja sicher beide schon Mitglieder und habt es deshalb sicher bei Euch im Regal. Schaut Mal rein, und wenn's dann noch Fragen gibt, meldet euch gerne wieder hier!
            Zuletzt geändert von Beate Pfau; 28.06.2025, 18:59.
            Früher unter "Beate" hier in den Foren aktiv. Halte und züchte verschiedene Schildkröten und bin seit Gründung Mitglied der AG Schildkröten. Lieblings- Spitzname "Bücherwurm".

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            • #7
              Besten Dank für die Info. Mit Schildkröten hatte ich nie näher zu tun, sondern bin vor Jahren wegen meinem damaligen Chamäleon hier gelandet. Ich lese hier aber immer noch querbeet mit, einfach aus allgemeinem Interesse an Tieren.
              Und siehe da, wieder was gelernt…

              PS: ist das nur bei den Maurischen Landschildkröten so, oder auch bei anderen?

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              • #8
                Bei allen anderen Schildkröten, bei denen das Geschlecht durch Temperatur fixiert wird.
                Mit schuppigen Grüssen
                Stockooh:

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                • #9
                  Liebe Beate, ich bin sehr begeistert, wie viel ich jetzt zusätzlich über das Thema gelernt habe.
                  Lediglich die Frage nach einer „vertretbaren“ Obertemperatur ist für mich noch offen. Ich würde natürlich gerne möglichst weit weg von den 31,5 Grad, denn nicht immer kann man sich auf die technische Funktion der Geräte verlassen und wenn 1 Grad schon entscheidend sein kann… Anderseits kommt man nach oben sicher bald in Bereiche, wo es vermehrt zu Missbildungen oder zum Absterben von Eiern kommt. Auch Temperaturschwankungen könnte man bei der Inkubation ja relativ leicht technisch simulieren (bzw. herbeiführen).
                  Es geht mir bei der „Produktion“ von Weibchen sicher nicht um ökonomische Gesichtspunkte - für die Arterhaltung und für ein gedeihliches Zusammenleben von in Gefangenschaft gehaltenen Gruppen sind weibliche Tiere nun mal erste Wahl.

                  Liebe Grüße aus Schleswig-Holstein,
                  Frank

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                  • #10
                    Hallo Frank,

                    ja, das ist natürlich eine Überlegung wert, und es ist auch wieder gar nicht so einfach, die nötigen Zusatzinfos zusammenzufassen. Ich antworte also Mal mit Radio Eriwan "in Prinzip ja, aber":
                    1. Wenn man die Inkubationstemperatur über die gesamte Entwicklungsdauer der Embryonen konstant hoch hält, steigt die Missbildungsrate enorm und die Embryonensterblichkeit auch. Wo dafü bei Testudo graeca ibera die vernünftige Obergrenze liegt, lässt sich nicht genau sagen, denn gerade bei diesen Parametern hängt das sehr von der Lokalform und auch von der Versorgung der Eier durch das Muttertier ab - aber so sehr weit weg von den 32 bis 32,5 °C ist sie wohl nicht.
                    2. Die Panzerschilder werden aber (so ganz grob...) im ersten Drittel der gesamten Inkubationsdauer angelegt, die Geschlechtsdetermination findet aber erst im zweiten Drittel statt. Man kann also die Rate der Panzerschildanomalien senken, wenn man anfangs mit etwas geringerer Temperatur inkubiert und dann erst auf die höheren Temperaturen umstellt - und die Sterblichkeit geht auch nicht so weit hoch, wenn man gegen Ende der Inkubation die Temperatur wieder absenkt.
                    3. Es hat sich inzwischen auch gezeigt, dass die Jungtiere fitter sind, wenn die Inkubationstemperatur nachts niedriger war. Für kurze Zeit, also wenige Stunden tagsüber, kann die Temperatur im Inkubator, bei den Eiern, bis ca. 33 °C ansteigen, aber wo da die Grenze ist, wird auch niemand genau sagen können oder wollen.

                    Das große "aber" kommt aber erst noch: Es gibt noch so einige Einflussfaktoren mehr, und man kann das alles nicht gegeneinander anrechnen und dann ein "Rezept" daraus machen - und man kann für einen Schlüpfling beim besten Willen nicht sagen, welchen Einfluss welcher Faktor für genau dieses Tierchen gehabt hat. Wie gesagt: Ich hab' in diesem dicken Radiata-Artikel versucht, das alles zusammenzustellen, und habe alleine für diesen Teil des Artikels fast ein halbes Jahr gebraucht, denn es gibt ungeheuer viele Einzeluntersuchungen zu diesem Themenkomplex, die ja möglichst alle gelesen und bewertet werden wollen. Alleine das Literaturverzeichnis im Artikel ist acht Seiten lang (und das, obwohl ausnahmsweise die Schriftgröße verkleinert worden war). Das kann ich also unmöglich nochmal hier zusammenfassen...

                    Üblicherweise wünsche ich "viel Spaß beim Lesen" aber in diesem Fall ist das wahrscheinlich eher anstrengend. Trotzdem: Versuch's! Liebe Grüße - Beate
                    Früher unter "Beate" hier in den Foren aktiv. Halte und züchte verschiedene Schildkröten und bin seit Gründung Mitglied der AG Schildkröten. Lieblings- Spitzname "Bücherwurm".

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