Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.

Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

Einklappen
Dieses Thema ist geschlossen.
X
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

  • Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

    Hallo zusammen!

    Es ist ja allgemein bekannt, dass der Wasserfrosch "Rana esculenta" nicht alleine Lebensfähig ist, sondern auf den kleinen Teichfrosch (R. lessonae) angewiesen ist.

    Ich habe niemals wirklich verstanden warum, und daher mal nach Infos im Netz gesucht. Ich wusste zwar, dass es ein Hybrid aus R. ridibunda (dem Seefrosch) und "lessonae" ist, das wars dann aber auch.

    Jetzt habe ich in einem Paper ("Evolutionary History of the Hybridogenetic Hybrid Frog Rana esculenta as Deduced from mtDNA Analyses" von Spolsky & Uzzell aus dem Jahr 1986) gelesen, dass der Wasserfrosch nur Gameten (also Samen- oder Eizellen) mit der Erbinformation von "ridibunda" bildet. Sämtliche "lessonae"-Chromosomen gehen bei der Meiose verloren, wobei auch keine Rekombination zwischen homologen Chromosomen stattfinden kann.
    Dies bedeutet also, dass der Wasserfrosch sein Erbgut hemiclonal weitergibt, wobei sich auf Dauer Mutationen ansammeln. Dadurch wird klar, warum der Wasserfrosch unbedingt "lessonae" braucht, um seine Popultation zu erhalten: esculanta gekreuzt mit esculante ergibt nämlich immer ridibunda, wobei aufgrund des hemiclonalen Erbgangs (keine Rekombination!) und der so angesammelten Mutationen in der Regel keine lebensfähigen Nachkommen zustandekommen.
    Soweit, so gut.

    Wer kann mir aber erklären, wieso bei Rana esculente
    1. keine Rekombination in der Meiose stattfindet, und

    2. ohne Ausnahme nur ridibunda-Chromosomen und niemals lessonae-Chromosomen weitergegeben werden.

    Besonders der zweite Punkt leuchtet mir garnicht ein, denn die Verteilung der Chromosomen auf die Tochterzellen sollte rein zufällig vonstatten gehen, und in der Meisose werden ja offenbar ridibunda UND lessonae-Chromosomen auf die Tochterzellen verteilt (sonst gäbe es ja keine Wasserfrösche, die aus mehr als einer Zelle bestehen :-) )

    Gibt es da irgendeine Website, wo man was genaueres über die Genetik der Grünfrösche nachlesen kann?
    Gibt es ein empfehlenswertes Buch darüber?

    Vielleicht gibt es ja hier einen Spezialisten, der mir meine Fragen beantworten kann.

    Vielen Dank,

    Mario.

  • #2
    Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

    Hallo Mario,
    Du hast das doch sehr schön dargestellt. Prima!

    Nur eine kleine Korrektur: Ein parentales Genom der esculenta wird jeweils schon VOR der Meiose rausgeworfen und das verbleibende dann dupliziert. Da hast Du also schonmal Deinen Sortierprozess, der dafür verantwortlich ist, dass nur ridibunda Keimzellen entstehen. NACH dieser Vorbereitung folgt eine "stinknormale" Meiose.

    Es wird wohl auch wie Du sagst generell angenommen, dass die clonale Weitergabe des ridibunda Genoms zu Mutationsanhäufungen geführt hat, die dazu führen, dass esculenta x esculenta Nachkommen nicht lebensfähig sind.

    Ich persönlich kann an diese Theorie zur Erklärung der Tatsache, dass ein Pärchen Wasserfrösche in der Regel keine Seefrösche hervorbringt, nicht so recht glauben.
    Es gibt zB einige Hinweise darauf, dass gelegentlich doch solche ridibundas in eigentlich reinen lessonae + esculenta Beständen auftreten.
    Somit kommt es also zumindest ab und an potentiell zu Rekombinationen, die die clonale ridibunda Linie durchbrechen.
    Auffällig finde ich dabei, dass solche überlebenden ridibundas mit esculenta Eltern dann doch recht fit sind. Schon das lässt mich an der Mutationsanhäufungstheorie etwas zweifeln. Vielleicht gibt es ja doch eine davon unabhängige erworbene Inkompatibilität der esculenta Keimzellen untereinander, die nicht direkt auf diesem Effekt beruht.

    Würde so etwas Sinn machen? Ich meine ja:
    Aus evolutionärer Sicht könnte man den hemiclonal reproduzierenden Hybrid ja als einen Versuch der Natur werten, in genetischen Engpässen den Heterosis Effekt bei der Hybridisierung zu nutzen und so auf einen Schlag fittere Nachkommen zu erzeugen, die dennoch das Elterngenom weitergeben. Wenn das effektiv sein soll, sind artreine Nachkommen solcher Hybriden weniger sinnvoll als Nachkommen, die ebenfalls als Hybriden den Heterosis Effekt nutzen düren. Man kann sich also einen Selektionsdruck auf "Intrahybridunfruchtbarkeit" vorstellen.
    Und wer weiss daher, ob sich da nicht ein spezifischer Mechanismus entwickelt hat?
    Ähnliches wurde in der Natur ja auch schon andernorts verwirklicht. Stichwort: Mating Type bei verschiedenen Pilzen.

    Gegen die These des "verkrüppelten" ridibunda Genoms als Ursache für die esculenta x esculenta Inkompatibilität spricht aber in meinen Augen vor allem - wenn ich die Datenlage richtig im Kopf habe- auch die Tatsache, dass sogar bei "frischen" esculenta, also gewollt aus ridibunda x lessonae gekreuzten Exemplaren die ridibunda x ridibunda Keimzellen dieser Tiere nicht zusammen finden, um kräftige kleine Seefrösche zu erzeugen.
    In der ersten Nachkommengeneration also!

    Da ist ja dann nun wirklich keine generationenlange stille Weitergabe des ridibunda Genoms mit Zeit zur Mutationsanhäufung vorausgegangen.

    Aber ich schweife ab. Das sind nur so ein paar Überlegungen eines NICHT-Froschlers aber Molekularbiologen zu diesem interessanten Phänomen.

    Ich fürchte aber, Deine eigentlich Frage, wie die Grünröcke es schaffen, Ihre Chromosomen vor der Meiose säuberlich nach Art zu sortieren, eine Hälfte abzubauen und die andere zu duplizieren und wie das ganze reguliert wird, kann Dir derzeit noch niemand schlüssig beantworten.
    Zumindest ist mir nichts diesbezügliches bewusst.

    Erkenntnisse auf diesem Gebiet würden in letzter Konsequenz ganz neue Aspekte in der Tierzucht auftun.
    Ob wir die dann alle wollen oder wollen sollten ist eine andere Frage, die zum gegebenen Zeitpunkt dann sicher heiss diskutiert werden wird.

    Gruß

    Ingo





    [[ggg]Editiert von Ingo am 03-11-2004 um 16:09 GMT[/ggg]]
    Kober? Ach der mit den Viechern!




    Kommentar


    • #3
      Re: Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

      Ingo schrieb:


      > Ich persönlich kann an diese Theorie zur Erklärung der Tatsache, dass ein Pärchen Wasserfrösche in der Regel keine Seefrösche hervorbringt, nicht so recht glauben.
      Es gibt zB einige Hinweise darauf, dass gelegentlich doch solche ridibundas in eigentlich reinen lessonae + esculenta Beständen auftreten.

      "Gelegentlich" bedeutet doch, dass es nur wenig passiert, oder?

      Es gibt tatsächlich ab und zu Rana ridibunda aus Rana esculenta * Rana esculenta Kreuzungen. Siehe
      Vorburger C
      Non-hybrid offspring from matings between hemiclonal hybrid waterfrogs suggest occasional recombination between clonal genomes
      ECOL LETT 4 (6): 628-636 NOV 2001
      Häufig scheint das aber nicht zu sein, die Berichte dazu sind jedenfalls spärlich.

      Die R. ridibunda, welche aus solchen Kreuzungen entstehen, sind übrigens alles Weibchen.

      > Somit kommt es also zumindest ab und an potentiell zu Rekombinationen, die die clonale ridibunda Linie durchbrechen.
      Auffällig finde ich dabei, dass solche überlebenden ridibundas mit esculenta Eltern dann doch recht fit sind.

      Wer sagt das? Mir ist keine Arbeit bekannt, wo jemand die Fitness solcher R. ridibunda gemessen hätte.

      > Schon das lässt mich an der Mutationsanhäufungstheorie etwas zweifeln. Vielleicht gibt es ja doch eine davon unabhängige erworbene Inkompatibilität der esculenta Keimzellen untereinander, die nicht direkt auf diesem Effekt beruht.

      > Gegen die These des "verkrüppelten" ridibunda Genoms als Ursache für die esculenta x esculenta Inkompatibilität spricht aber in meinen Augen vor allem - wenn ich die Datenlage richtig im Kopf habe- auch die Tatsache, dass sogar bei "frischen" esculenta, also gewollt aus ridibunda x lessonae gekreuzten Exemplaren die ridibunda x ridibunda Keimzellen dieser Tiere nicht zusammen finden, um kräftige kleine Seefrösche zu erzeugen.
      In der ersten Nachkommengeneration also!

      Wenn man neue Rana esculenta "herstellt" (F1-Generation) so kann man die problemlos kreuzen.

      Mehr zum Thema gibt es hier:
      Vorburger C
      Fixation of deleterious mutations in clonal lineages: Evidence from hybridogenetic frogs
      EVOLUTION 55 (11): 2319-2332 NOV 2001

      Vorburger C
      Heterozygous fitness effects of clonally transmitted genomes in waterfrogs
      J EVOLUTION BIOL 14 (4): 602-610 JUL 2001

      > Ich fürchte aber, Deine eigentlich Frage, wie die Grünröcke es schaffen, Ihre Chromosomen vor der Meiose säuberlich nach Art zu sortieren, eine Hälfte abzubauen und die andere zu duplizieren und wie das ganze reguliert wird, kann Dir derzeit noch niemand schlüssig beantworten.

      Da ist mir auch nichts bekannt, wenigstens nicht bei Wasserfröschen. Zum Thema "meiotic drive" findet sich aber viel Literatur zu einem nahe verwandten Thema.

      MfG
      Benedikt







      [[ggg]Editiert von Ingo am 03-11-2004 um 16:09 GMT[/ggg]]

      Kommentar


      • #4
        Re: Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

        Vielen Dank für die ausführliche Antwort!

        Ich finde es schon beeindruckend, hier ein Beispiel für eine Populationsdynamik zu haben, die so ziemlich allem widerspricht, was man so lern über den Begriff "Art" und Erhaltung derselben.

        Ein Paper (gar nicht so alt, ich glaube von 2002) habe ich noch gefunden, in welchem von Experimenten die Rede ist, wo esculentas gekreuzt wurden.
        Ergebnis:
        Stammten die Wasserfrösche aus dem selben Biotop, waren die Nachkommen beeinträchtigt.
        Stammten die Tiere dagegen aus unterschiedlichen Regionen (was gleichzeitig bedeutet, verschiedener clonaler Ursprung), so waren die Nachkommen nicht von denen eines Ridibunda-Paares zu unterscheiden.
        Dies würde ja die Hypothese mit den angesammelten Mutationen stützen.

        Dass dieser Mechanismus, lessonae-Chromosomen vor der Meiose "rauszuwerfen", eine spezielle Anpassung darstellt, finde ich schon eine ziemlich gewagte Annahme, aber möglich wäre es natürlich.

        Nur frage ich mich, wieso lessonae nicht einen Mechanismus gefunden hat, sich vor esculenta zu schützen. Denn letztendlich ist eine Paarung mit esculanta für den Fortbestand von lessonae völlig kontraproduktiv: alle Gene des lessonae-Männchen (zumindest scheinen das meistens Männchen zu sein) sind in der übernächsten Generation verschwunden. Für lessonae stellt Esculenta durch diese "Chromosomenentsorgung" ja lediglich einen Parasiten dar, der möglicherweise den Vorteil der Heterozygotie nutzen kann, seinem "Wirt" aber nur Nachteile verschafft.

        Anders ausgedrückt: eine lessonae-Population völlig ohne esculanta (und ridibunda) sollte wesentlich besser darstehen, und insofern sollten lessonae-Individuen einen Selektionsvorteil haben, die Artfremde Frösche erkennen und eine Verpaarung mit diesen vermeiden können.

        Da dem offenbar nicht so ist, und der Grünfroschkomplex in Mitteleuropa anscheinend eine erfolgreiche Strategie ist, kann es denn doch nicht ganz so einfach sein.

        Daher erscheibnt mir Dein Gedanke, es könne möglicherweise doch in irgendeiner Weise Rekombination stattfinden, interessant. Die "reinrassige" lessonae-Population allerdings ginge dennoch leer aus. lessonae-Gene könnten, wenn doch Rekombinationen stattfänden, zwar zu Ridibunda gelangen, der Umgekehrte Weg ist jedoch nicht möglich.
        Mitochondriale DNA wird übrigens nachweislich zwischen lessonae und ridibunda über esculanta ausgetauscht (siehe Paperzitat in meinem ersten Beitrag dieses Threads). Ob darin möglicherweise ein Vorteil liegen könnte?

        In jedem Fall sehr interessant, sich hierüber mal Gedanken zu machen.

        Gruß,

        Mario.

        Kommentar


        • #5
          Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

          Hi Benedikt, danke für dei Korrektur. Offensichtlich war ich falsch informiert.

          Was die Fitness der ridibubnda mit esculenta Eltern angeht, fand ich es halt beachtenswert und wertete es asl ein Zeichen von Fitness, dass diese Weibchen immerhin im Freiland überleben und sich sogar fortpflanzen können:
          Vorburger, c. (2001)Non-hybrid offspring from matings between hemiclonal hybrid waterfrogs suggest occasional recombination between clonal genomes. Ecology Letters
          Volume 4 Issue 6 Page 628 - November 2001
          doi:10.1046/j.1461-0248.2001.00272.x

          Lokal scheint das gar nicht mal selten zu sein:
          Hootz, H, Beerli, P und Spolski, C (1992)Mitochondrial DNA reveals formation of nonhybrid frogs by natural matings between hemiclonal hybrids. Molecular Biology and Evolution, Vol 9, 610-620



          Aber Du hast im Prinzip natürlich recht. Ich habe nochmal gesucht und gefunden, dass es inzwischen etliche Untersuchungen zum ridibunda Genom in esculenta gibt und dass diese die These von der Ansammlung ungünstiger Mutationen stützen.
          Sorry, war einfach nicht auf dem aktuellen Stand.
          Wie gesagt: Nicht Froschler

          Trotz allem frage ich mich, wenn jetzt tatsächlich eine lange rekombinatorische Stummphase des ridibunda Genoms in esculenta vorliegt und sich Mutationen angesammelt haben, warum es dazu kam.
          In der Frühphase des Kleptons mit "frischem" ridibunda Genom müssten ja doch regelmäßig ridibundas entstanden sein, die dann eine ebenso regelmäßige Rekombinationsmöglichkeit bieteten. Netto hätte es für das ridibunda Genom in esculenta also bedeutet, dass es Umständen ausgesetzt wäre, die vor allem Lebewesen mit einer erheblich geringeren reproduktionsrate entsprechen. Aber wirklich isoliert wäre es nie gewesen.
          Offensichtlich war es das aber doch. Warum dann? Doch andere Inkompatibilitäten?
          Oder lediglich ein populationsdynamisch mathematisch erklärbarer Effekt?
          Ich frag mich sowas halt.




          @ Mario: Ich meine irgendwo ein recht aktuelles Paper gelesen zu haben (sorry, kann ich jetzt nicht raussuchen), das besagt, dass esculenta Weibchen lessonae Männchen bevorzugen und dass da irgendwo steht, dass die Paarung esculenta Mann x lessonae Weibchen seltener wäre als lessonae Mann x esculenta Weibchen.

          Sollte dem so sein, parasitieren die lessonae (oder sollte man sagen das ridibunda Genom?) vielleicht ja vor allem am Männchenüberschuss der lessonae Populationen und beeinträchtigen den für die Art wichtigen Fortpflanzungserfolg der lessonae Weichen wenig.
          Dann könnte man weiter spekulieren, dass das wegfangen der esculenta durch Prädatoren in gemischten Populationen statistisch die Überlebenschance der lessonae erhöht und die Anwesenheit einer esculenta Population damit den lessonae ein wenig als Puffer gegen fressfeinde dient, ohen dabei allzusehr Konkurrent zu sein, da die esculenta ja auf das überleben der lessonaes angewiesen sind.

          Aber das sind alles Spekulationen.
          Es gibt jedoch auch mathematische Ansätze: http://waterfrogs.csit.fsu.edu/PBhtmls/abstracts/model.html

          gruß

          Ingo

          [[ggg]Editiert von Ingo am 04-11-2004 um 08:35 GMT[/ggg]]
          Kober? Ach der mit den Viechern!




          Kommentar


          • #6
            Re: Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?



            Noch ein paar mehr Bemerkungen zu Wasserfröschen:

            - Christoph Vorburger (Zitate siehe oben) hat experimentelle Kreuzungen gemacht. Kreuzungen von Tieren aus derselben Population ergeben meist keine lebensfähigen Nachkommen. Kreuzungen zwischen Tieren aus verschiedenen Populationen ergeben regelässig lebensfähige Nachkommen.

            Dazu auch:
            Guex GD, Hotz H, Semlitsch RD
            Deleterious alleles and differential viability in progeny of natural hemiclonal frogs
            EVOLUTION 56 (5): 1036-1044 MAY 2002

            - Sowohl R. esculenta wie auch R. lessonae bevorzugen R. lessonae als Paarungspartner. Hierzu gibt es jede Menge hier:
            http://www.zool.unizh.ch/ecology/ureyer/publications.htm

            Die Partnerwahl ist aber nicht perfekt; "Fehler" gibt es immer wieder. Gerade bei den Männchen ist es aber wohl nicht so wichtig, wie sie sich entscheiden, da Spermien relativ billig sind.

            Je nach dem, wie Partnerwahl und die Meiose bei den Wasserfröschen genetisch gesteuert sind, ist es fast unmöglich, dass die perfekte Partnerwahl evoluiert:

            Reinhold K, Engqvist L, Misof B, et al.
            Meiotic drive and evolution of female choice
            P ROY SOC LOND B BIO 266 (1426): 1341-1345 JUL 7 1999



            - "Unfaire" Meiose ist in der Natur gar nicht so selten. Es bringt dem Individuum, welches eine unfaire Meiose auslöst, eben einen Vorteil: sein Erbgut ist in 100% der Nachkommen, normal wäre nur 50%. (Natürliche Selektion agiert auf der Ebene des Individuums, "es ist gut für die Art" ist evolutionsbiologisch irrelevant.)

            Hurst LD, Atlan A, Bengtsson BO
            Genetic conflicts
            Q REV BIOL 71 (3): 317-364 SEP 1996

            Kommentar


            • #7
              Re: Re: Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

              Danke!

              Ich habe nochmal eine kurze Frage. In einem Buch "Lurche und Kriechtiere" (habe den Autor vergessen, ist aber so ein Standard-Bestimmungsbuch mit einem Hyla arborea auf dem Einband bzw einer Bufo viridis bei einer älteren Ausgabe; kennt Ihr sicher alle) steht auch was von triploiden Wasserfröschen. Gibt es sowas auch? Da steht auch einiges, was eher so aussieht, als hätte der Autor das selbst nicht so verstanden, daher wollte ich nochmal nachfragen.

              Wie viele Chromosomenpaare haben eigentlich Grünfrösche? Unterscheidet sich das bei Ridibunda und Lessonae?

              benz schrieb:

              - "Unfaire" Meiose ist in der Natur gar nicht so selten. Es bringt dem Individuum, welches eine unfaire Meiose auslöst, eben einen Vorteil: sein Erbgut ist in 100% der Nachkommen, normal wäre nur 50%. (Natürliche Selektion agiert auf der Ebene des Individuums, "es ist gut für die Art" ist evolutionsbiologisch irrelevant.)
              Das stimmt so nicht:
              es werden auch bei esculenta auch nur 50% des Erbguts weitergegeben, wenn man es von der Ebene des Individuums aus betrachtet. 100% sind es nur auf Ebene des Ridibunda-Genoms, im Gegensatz zu "normaler" Meiose, wo jedes Genom zu ca. 50% weitergegeben wird.
              Allerdings verstehe ich hier nicht den Vorteil für die Gesamtpopulation, da sich ja eben Mutationen ansammeln.

              Weißt Du zufällig konkrete Beispiele für andere "unfaire" Meiosen?
              Oder weitere Beispiele für natürliche Hybridpopulationen, deren Genetik mit der der Grünfrösche vergleichbar ist?

              Vielen Dank,

              Mario.

              Kommentar


              • #8
                Re: Re: Re: Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

                [quote]Nasenmann schrieb:
                > steht auch was von triploiden Wasserfröschen. Gibt es sowas auch?

                Bei Wasserfröschen gibt es fast alles. Ja, es gibt auch triploide Frösche (u.a. Norddeutschland, Schweden). Da wird alles noch komplizierter ... es gibt auch Populationen, wo nur Rana esculenta (diploid und triploid) vorkommt. Die Elternarten R. lessonae und R. ridibunda fehlen dort.

                > Wie viele Chromosomenpaare haben eigentlich Grünfrösche? Unterscheidet sich das bei Ridibunda und Lessonae?

                Mir nicht bekannt.

                [quote]benz schrieb:

                - "Unfaire" Meiose ist in der Natur gar nicht so selten. Es bringt dem Individuum, welches eine unfaire Meiose auslöst, eben einen Vorteil: sein Erbgut ist in 100% der Nachkommen, normal wäre nur 50%. (Natürliche Selektion agiert auf der Ebene des Individuums, "es ist gut für die Art" ist evolutionsbiologisch irrelevant.)


                > Das stimmt so nicht:
                es werden auch bei esculenta auch nur 50% des Erbguts weitergegeben, wenn man es von der Ebene des Individuums aus betrachtet. 100% sind es nur auf Ebene des Ridibunda-Genoms, im Gegensatz zu "normaler" Meiose, wo jedes Genom zu ca. 50% weitergegeben wird.

                100% des ridibunda Genoms gehen weiter, 0% des lessonae Genoms. So haben 100% der Nachkommen das ridibunda Genom. Bei einer normalen Meiose wären es 50% ridibunda, 50% lessonae.

                50% der Nachkommen eines Mannes erben das y-Chromosom (sind also Söhne). Stell dir die Situation eines unfairen Y-Chromosoms vor, welches das X-Chromosom "umbringt". Dieses Y-Chromosom wäre in 100% der Nachkommen- ein riesiger Vorteil.

                > Allerdings verstehe ich hier nicht den Vorteil für die Gesamtpopulation, da sich ja eben Mutationen ansammeln.

                Es gibt keinen Vorteil auf der Ebene der Population. Den braucht es auch nicht, da Evolution auf der Ebene des Individuums funktioniert, nicht auf der Ebene der Population (bzw. "gut für die Art" - vergiss dieses Konzept, es ist falsch).

                > Weißt Du zufällig konkrete Beispiele für andere "unfaire" Meiosen?
                > Oder weitere Beispiele für natürliche Hybridpopulationen, deren Genetik mit der der Grünfrösche vergleichbar ist?

                Hybridogenetisch sind ein paar Fische:
                - Poeciliopsis in den USA/Mexico; hier gibt es viel Literatur von R. C. Vrijenhoek.
                - Tropidophoxinellus in Spanien (der Name hat möglicherweise geändert). Siehe dazu Carmona et al. 1997. Genetics 146(3):983-993.

                Und Insekten können auch hybridogenetisch sein: Gattung Bacillus; siehe dazu
                Mantovani & Scali 1992. Evolution 46:783-796.

                Dann gibt es noch Gynogenese, wo das Spermium nur zur Aktivierung der Zellteilung notwendig ist, aber das Genom des Spermiums nicht in den Zellkern eingebaut wird und deswegen auch nicht weiter gegeben wird, z.B. bei Ambystoma-Salamandern in den USA. (Hier ist die Meiose selbst zwar fair, aber das väterliche Genom wird schon lange vor der Meiose weggeworfen.)

                Andere unfaire Meiosen gibt es z.B. bei Milben. Da wird das Genom des Vaters bei der Meiose eliminiert. Mehr Details dazu in der Arbeit von Hurst et al. (siehe oben).

                MfG
                Benedikt

                Kommentar


                • #9
                  Re: Re: Re: Re: Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

                  Danke!

                  benz schrieb:

                  Bei Wasserfröschen gibt es fast alles. Ja, es gibt auch triploide Frösche (u.a. Norddeutschland, Schweden). Da wird alles noch komplizierter ... es gibt auch Populationen, wo nur Rana esculenta (diploid und triploid) vorkommt. Die Elternarten R. lessonae und R. ridibunda fehlen dort.
                  Das interessiert mich jetzt aber doch, auch wenn es komplizierter ist. Normalerweise müssten Wasserfrösche doch automatisch Seefrösche erzeugen, wenn sie sich paaren. Wie funktioniert das ganze in einer reinen Wasserfroschpopulation?

                  Ein Paper von diesem Jahr ist mir gestern noch unter die Finger gekommen (danke für Eure vielen Literaturhinweise und Links!), worin steht, dass wohl doch Rekombinationen mit lessonae stattfinden können, und der Seefrosch möglicherweise einen Vorteil hat, wenn er sich über esculante lessonae-Erbgut in die Population "importiert".

                  Zur Frage, auf welcher Ebene Evolution stattfindet, kann ich Dir nicht ganz zustimmen. Ist fast schon ein philosophisches Problem, aber trotzdem: Selektion wirkt sich immer auf einzelne Individuen aus, aber dennoch ist es letztlich die Gesamtpopulation, die funktionieren muss.

                  Extrembeispiele: Nehmen wir staatenlebende Insekten, in denen fast alle Individuen auf die Fortpflanzung verzichten.
                  Oder die "Bienchen und die Blümchen": hier findet gar eine Koevolution zwischen zwei Arten statt, wo die Blütenpflanzen von den Insekten und umgekehrt profitieren.

                  Theoretisch könnte man das Ganze auch auf vererbbare Eigenschaften reduzieren, was dann in der Regel (zumindest bei normalen Vielzellern) einer DNA-Sequenz entspricht.
                  Die DNA-Sequenz steht für irgendeine Eigenschaft des Individuums. Das kann auch ein Virus oder Transposon sein, und somit mit den "Interessen" des Individuums in Konflikt stehen. Dennoch wird diese Sequenz nicht überleben, wenn sie dafür sorgt, dass ihr "Wirt" sich nicht fortpflanzen und somit die Sequenz weitergeben kann.
                  Das Individuum wiederum hat (zumindest als ein sich sexuell fortpflanzender Vielzeller) eine endliche Lebenszeit und ist auf andere Individuen angewiesen, damit seine Eigenschaften erhalten bleiben. Kurz: eine Population ist notwendig.

                  Das eine geht ohne das andere nicht, und Evolution lässt sich nicht ohne Populationen verstehen.
                  Man kann es von jeder Ebene aus betrachten, und manchmal ist die eine, manchmal die andere sinnvoller.
                  Letztlich aber sind es nunmal Populationen, die überleben, nicht Individuen.

                  Gruß,

                  Mario.

                  Kommentar


                  • #10
                    Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

                    Hi,

                    noch ein Artikel zu dieser Thematik:

                    Tunner, Heinz (1997): "Warum sind die Teichfrösche noch nicht aus der Tierwelt verschwunden?", in: Internationales Symposion für Vivarisitk, Dokumentation 1997, Ulmer Verlag.


                    viele Grüße,
                    Martin

                    Kommentar


                    • #11
                      Re: Re: Re: Re: Re: Re: Gibt's hier Experten für Rana esculenta?

                      > Das interessiert mich jetzt aber doch, auch wenn es komplizierter ist. Normalerweise müssten Wasserfrösche doch automatisch Seefrösche erzeugen, wenn sie sich paaren. Wie funktioniert das ganze in einer reinen Wasserfroschpopulation?

                      Gute Frage - so genau ist das noch nicht bekannt. In diesen Populationen sind die R. esculenta diploid und triploid und produzieren haploide und diploide Gameten.

                      > Zur Frage, auf welcher Ebene Evolution stattfindet, kann ich Dir nicht ganz zustimmen. Ist fast schon ein philosophisches Problem, aber trotzdem: Selektion wirkt sich immer auf einzelne Individuen aus, aber dennoch ist es letztlich die Gesamtpopulation, die funktionieren muss.

                      Falsch. Das sind Argumente der Gruppenselektion, welche in den 1960er-Jahren aktuell waren und schon lange widerlegt sind. Schau mal ein modernes Lehrbuch der Evolution an, z.B. das von Stearns und Hoekstra, erschienen bei Oxford University Press.

                      > Extrembeispiele: Nehmen wir staatenlebende Insekten, in denen fast alle Individuen auf die Fortpflanzung verzichten.

                      Das geht nur, weil Insekten haplodiploid sind! Das lässt sich einfach mit Selektion auf der Ebend des Individuums erklären. Die Arbeiterinnen sind mit ihren Schwestern näher verwandt als mit ihren eigenen Nachkommen. Deshalb ist es für das Individuum vorteilhaft, auf eigene Nachkommen zu verzichten!

                      Mehr dazu hier:
                      http://www.biologie.uni-regensburg.de/Zoologie/Heinze/kurs/verhaltensoekologie3.pdf

                      Nebenbei: Es gibt viele Beispiele, dass die Arbeiterinnen eben nicht auf Reproduktion verzichten und dass es schwere Interessenskonflikte zwischen Arbeiterinnen udn Königinnen geben kann.

                      > Oder die "Bienchen und die Blümchen": hier findet gar eine Koevolution zwischen zwei Arten statt, wo die Blütenpflanzen von den Insekten und umgekehrt profitieren.

                      Ja, und es gibt viele Beispiele dafür, dass Hummeln und Bienen ein Loch in die Blüte fressen, so dass sie einfacher an den Nektar gelangen ohne eine Aufgabe bei der Bestäubung erfüllen zu müssen.

                      > Theoretisch könnte man das Ganze auch auf vererbbare Eigenschaften reduzieren, was dann in der Regel (zumindest bei normalen Vielzellern) einer DNA-Sequenz entspricht.
                      Die DNA-Sequenz steht für irgendeine Eigenschaft des Individuums. Das kann auch ein Virus oder Transposon sein, und somit mit den "Interessen" des Individuums in Konflikt stehen. Dennoch wird diese Sequenz nicht überleben, wenn sie dafür sorgt, dass ihr "Wirt" sich nicht fortpflanzen und somit die Sequenz weitergeben kann.

                      Das kann dann eben die oben erwähnten genetischen Konflikte ergeben.

                      Zum Thema Parasiten:
                      Ebert D
                      Variation in parasite virulence is not an indicator for the evolution of benevolence
                      CONSERV BIOL 9 (6): 1652-1653 DEC 1995

                      > Das Individuum wiederum hat (zumindest als ein sich sexuell fortpflanzender Vielzeller) eine endliche Lebenszeit und ist auf andere Individuen angewiesen, damit seine Eigenschaften erhalten bleiben. Kurz: eine Population ist notwendig.

                      Mit Ausnahme der parthenogenetischen Formen und Arten, versteht sich.

                      > Letztlich aber sind es nunmal Populationen, die überleben, nicht Individuen.

                      Eine Population ist die Summe der Individuen. Die Population überlebt, wenn die Individuen überleben bzw. sich fortpflanzen.

                      MfG
                      Benedikt

                      Kommentar

                      Lädt...
                      X